Trauriges Endes des Prachtbaus

Heute vor 45 Jahren wurde das Café Orient abgerissen

16. April 2009, Wiesbadener Kurier (Nicola Böhme)

Wiesbaden. Auf den heutigen Tag ist es genau 45 Jahre her, dass ein Stück Wiesbadener Architekturgeschichte den Baggern zum Opfer fiel: Am 16. April 1964 wurde das Café Orient auf dem Gelände Unter den Eichen abgerissen.

Als am Morgen des 16. April 1964 die Bagger auf dem Gelände Unter den Eichen anrücken, um die Überreste des inzwischen verfallenen Café Orient dem Erdboden gleichzumachen, geht eine glanzvolle, aber auch traurige Kaffeehaus-Epoche zu Ende.

Alfred Georgi, ehemaliger Hofkoch Kaiser Wilhelms II., hatte das Gebäude im arabisch-maurischen Stil von dem Wiesbadener Architekten Carl Dormann 1900 bauen lassen. Doch das exotische Gebäude mit seinen drei an eine Moschee erinnernden Kuppeltürmen, den fein verzierten Arkaden und der prächtigen Innenausstattung sollte ihm kein Glück bringen. Georgi konnte die Hypothekenschuld nicht aufbringen und musste sein geliebtes Café, das sich schnell zum In-Treff gemausert hatte, bereits nach einem Jahr wieder verkaufen. Auch seinen Nachfolgern, Christian Schnorr und Karl Berges, wurde das Ausflugsziel zum finanziellen Verhängnis. 1914 schließlich übernahmen der elsässische Hotelfachmann Georges Richefort und seine Frau Lina das Haus. Unter ihrer Leitung avancierte das Café in den Goldenen Zwanzigern zum angesagtesten Lokal der Stadt. Richefort beantragte sogar den Anbau eines 1000 Personen fassenden Ballsaals. Doch die Weltwirtschaftskrise machte auch vor Wiesbaden nicht Halt – Richefort meldete 1929 Konkurs an, erzählt sein Enkel Bernd Richefort, der sich heute rührend um die Geschichte des einstigen Schmuckstücks kümmert und dafür sorgt, dass der wohl exotischste Bau, den Wiesbaden je besaß, nicht in Vergessenheit gerät (wir berichteten).

Nach dem Krieg erwarb ein Handwerksmeister den Prachtbau, er verkleinerte die gastronomische Fläche und vermietete den Rest, zweitweise residierten dort ein Kostümverleih, ein Schädlingsbekämpfer und eine Ballettschule. Nach seinem Tod verkauften die Erben das Haus an eine Grundstücksgesellschaft, die es 1964 abreißen ließ, um dort ein achtgeschossiges Wohnhaus zu bauen, so Richefort.

Seite Jahren schon sammelt der Enkel Andenken an das Café Orient, nennt mittlerweile Bestecke, Stühle, Tablett, Teegläser und anderes sein Eigen. Und im thüringischen Ruhla lässt er derzeit bei einem Modellbauer das Café im Maßstab 1:25 nachbauen. „Das soll später ins Stadtarchiv“, wünscht sich Bernd Richefort, der nicht müde wird, nach Überbleibseln des Prachtbaus zu suchen.

Sein jüngster Fund ist ein Text des Wiesbadener Autors Dieter Leisegang, der 1967 seine Erinnerungen ans Café in seinem Buch „Hoffmann am Fenster“ festhielt. „Leider ist das Buch nicht mehr zu bekommen“, bedauert Richefort.

Erinnerungen

„Schon von weitem sah man es durch die Kastanien hindurch: mattrot und weiß, in breite Steifen gelegt. Eine Terrasse, die auf die Stadt ging. Im Seitenflügel hatte ein Kostümverleih sein Lager errichtet. Fräcke und Uniformen standen auf halben Leibern im Hausflur, wie alles hier warteten auch sie auf Erlösung… Zum letzten Mal sah ich die Türme als ich vor einiger Zeit den Friedhof besuchte, der ganz in der Nähe liegt… Die tote Hülle des Cafés ragte an diesem Sonntagmorgen über die entlaubten Bäume empor, mattrot und weiß, in breiten Streifen, aber entlegen, wie Villengegenden aus ausgestorbenen Nachmittagen, wenn es November wird. Keine Wärme ging von jener Ruine noch aus. Kein Hingezogensein teilte sich mit… Dann erfuhr ich, mit Genugtuung fast, man hätte das stille Haus geräumt und abgerissen.“

(Aus „Hoffmann am Fenster“ von Dieter Leisgang.)

 

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